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Wirklich?

Warum ich meine Komfortzone und das was ich "schon immer getan habe" hinterfrage

WIRKLICH? Ein Wort, das für mich alles verändert hat? Hänge ich es doch inzwischen an fast jede Beurteilung und Frage im Kopf direkt mit dran. Es ist mehr als menschlich, dass wir unsere Realität und Komfortzone schützen möchten. Ist ein anderes Lebewesen davon betroffen, hilft das kritische Einschätzen der eigenen Meinung aber ungemein, um kleine Lügen, die wir uns täglich erzählen, zu enttarnen und es besser zu machen. Übrigens nicht nur im Pferdekontext.

Das WIRKLICH? gibt mir die Möglichkeit noch eine 2, 3 oder 4 mögliche Antwort mehr auf Fragen zu finden, die ich im Kopf schon längst innerhalb meiner Komfortzone beantwortet habe. Zu reflektieren, dass wir uns selber gerne die immer gleichen Märchen in Bezug aufs Pferd (oder das Leben) erzählen und uns dann auch noch intensiv von anderen darin bestätigen und bestärken lassen (weil wir es im Gegenzug auch für sie tun) tut weh. Aber so beginnt Veränderung.

Wölbchen ist eine Zicke, wenn man sie putzt und einfach kitzelig! WIRKLICH? Nein! Sie hatte schlimme Magenschmerzen.

Canto hat sich auf der Wiese vertreten und die Sehne verletzt! Wirklich? Nein, ich bin ihn falsch geritten und habe mich von einem Lehrgangstrainer nötigen lassen ihn 1,5 Stunden überzubelasten und habe nicht Stopp gesagt.

Cobie hat halt sensible Haut und zuckt so! Wirklich? Nein, sie war viel zu dick und ihr Gewebe war schmerzhaft.

Canto ist halt gemütlich und man muss den mal anzünden! Wirklich? Nein, er konnte den Reiter nach seiner Verletzung kaum tragen.

Die ist halt frech und tritt nach dem Gurt! Wirklich? Nein, das Pferd hat Angst, Schmerzen und weiß sich nicht anders zu helfen oder auszudrücken. 

Der ist so brav da kann man alles mit machen! Wirklich? Nein, er ist komplett in sich gekehrt und im Freeze Modus.

Die muss sich einfach mal richtig ausbuckeln! Wirklich? Nein, sie ist in absoluter Panik und kann die Situation nicht managen.

Wirklich?
The horse first, the hobby second

Mit dem kleinen Wort wirklich verändert man alles. Und enttarnt, wo man sich Dinge schönredet. 

Ist es wirklich ok, das Pferd mit dem Besen auf den Anhänger zu schubsen? Ist es wirklich ok, das Drohen des Pferdes beim Satteln einfach zu übergehen? Ist es wirklich ok, sein Pferd mit Sporen zu reiten, wenn nicht mal die Basics funktionieren? Ist es wirklich gut, seinem Pferd das Maul zuzubinden? Ist es wirklich ok, das Lauf- und Fluchttier Pferd 23 Stunden in einer 12 qm Box zu halten? Ist es wirklich ok, ihm verschimmeltes Heu zu geben? Ist es wirklich ok, ein Pferd in 8 Wochen anzureiten, obwohl wir wissen, dass Muskulatur länger braucht, um tragfähig zu werden? Ist es wirklich ok, uns lieber auf das, was alle erzählen, zu verlassen, statt uns unabhängig weiterzubilden? Ist es ok, Pferden, die Angst auf dem Turnier haben, mit allen möglichen Methoden ruhiger zu machen, statt sie ehrlich in die Situation reinwachsen zu lassen? Ist es wirklich ok, ein Pferd, dass mehr Pause als Arbeit kennt am Wochenende für den 3 Stunden Ritt ins Gelände zu zerren? Ist es wirklich ok, mit aller Kraft am Zügel und im empfindlichsten Part des Pferdes rumzuziehen oder ihm aus Frust in den Bauch zu treten oder mit der Gerte durchzuziehen? Ist es wirklich ok, die nächste Schabracke statt den dringend benötigten Tierarzt zu holen?

Ist das, was wir Pferden tagtäglich antun, um "unseren Spaß" zu haben, um Erfolg zu haben, um uns zu entspannen, wirklich ok?

Oder dürfen wir anfangen, kritisch zu hinterfragen, wann unser Partner auch eine wirklich gute Zeit hat? Wann es dem Pferd wirklich gut geht?

Pferde dürfen uns Freude machen. Ich gehe auch so weit zu sagen, dass sie durchaus etwas für uns leisten dürfen. Aber das Pferd und dessen Wohlergehen sollte immer - IMMER - an erster Stelle stehen.

Und wenn wir WIRKLICH ehrlich sind, wissen wir, dass dem sehr, sehr oft nicht so ist. 

Wirklich?
Da muss der eben durch

Denn… Da muss der jetzt mal durch. Das kann die schon. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt. Der soll sich jetzt mal nicht so anstellen. Ich habe mich schon so lange da drauf gefreut. Dafür habe ich die ja gekauft. Das konnte der doch schon mal. Das muss doch wohl gehen. Oder: Das hat der und die auch schon hingekriegt und außerdem wurde das schon immer so gemacht.

All das sind Aussagen, wo ein wirklich helfen würde. Wo ein ehrliches Hinschauen helfen würde, die richtigere Entscheidung zu treffen. Auch wenn sie unbequemer, langsamer, weniger prestigeträchtig oder sonst was ist.

Und das spannende.

Kaum einer hebt den Finger und bekennt sich schuldig. 

Es sind immer die anderen oder eben keiner. Aber wäre dem so, würden wir ja nur glückliche, zufriedene und losgelassene Pferde sehen. Egal ob im Wald oder auf den Turnierplätzen.

Die Realität zeigt ein anderes Bild. Und es ist an der Zeit sich zu fragen, was dürfen wir, was glauben wir zu tun, was tun wir WIRKLICH?

Es gibt kein zurück

Ich habe mich irgendwann auf den Weg gemacht, WIRKLICH ehrlich zu sein. Mit allen Konsequenzen. Kein gemütlicher Weg. Kein einfacher Weg. Einige Momente, in denen ich zurückwill zum Nichtssehen und viel weniger Fühlen. Denn der nächste Eimer Mash macht es doch gut, dass man den Gurt wieder mal zu schnell festgezogen habe, obwohl es dem Pferd nicht gut ging. Die nächste Karotte macht die 60 Sekunden Parcours, die das Pferd kaum leisten konnte und trotzdem 'ne Schleife brachte, bestimmt wieder gut.


Aber schaut man WIRKLICH hin, gibt es kein Zurück mehr. Man wird empathischer, öffnet sich, fühlt so viel mehr, sieht mehr. Ich würde sogar sagen, man lebt und liebt mehr. Anders und ehrlicher. Man ändert nicht nur seinen Blick aufs Pferd. Man ändert auch den Blick auf sich selber. 

Und das ist der Beginn einer wunderbaren Reise, von der man plötzlich doch nicht mehr umdrehen möchte, weil es einen zwar viel kostet, unglaublich viel abverlangt, es einen aber auch reicher macht, als man jemals war. 

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