Zu welcher Gang willst Du gehören?
Eine ehrliche Geschichte über Pferde, Ego
und die Menschen, die wirklich zählen
Wenn man in diesen Monaten auf die Pferdewelt blickt, ist es schwer, nicht den
Glauben zu verlieren. Die Skandale im Reitsport häufen sich. Bilder von lahmenden
Pferden, von blanken Schlaufzügeln, von erlaubten Blutungen. Menschen, die
bedroht werden, weil sie Missstände benennen. Und auch ich bin davon nicht
unberührt. An manchen Tagen ist mein Weltschmerz groß. Viel größer, als mir lieb
ist.
Doch bei all dem verliert man leicht aus den Augen, dass da draußen unzählige
wundervolle Pferdemenschen unterwegs sind. Ich spreche nicht von Piloten oder Dompteuren, die Lektionen abrufen, als wäre
es ein Zirkusprogramm. Ich spreche von Menschen, die Pferde sehen. Im Kern. Im
Wesen. In ihrer Verletzlichkeit und in ihrer Stärke. Menschen, denen das Tier
wichtiger ist als ihr eigener Status.
Sie bilden aus, statt zu dressieren. Sie geben Zeit, wo andere Druck machen. Sie
investieren Wissen, wo andere auf schnellen Erfolg setzen. Sie arbeiten ehrlich.
Auch wenn der Weg länger dauert. Auch wenn das Ergebnis erst Jahre später
sichtbar wird. Diese Menschen gibt es. Man muss nur genauer schauen. Oder an
Orte gehen, die nicht im Rampenlicht stehen.
Der Insta-Algorithmus zeigt uns eine sehr kleine Welt. Eine Blase, die aus Sport,
Siegerehrungen und glänzendem Equipment besteht. Der Reitsport ist
wirtschaftlich relevant. Viel Geld fließt. Viel Prestige schwebt über allem. Aber wer
sich außerhalb dieser Blase bewegt, merkt schnell, dass die Welt viel größer ist.
Dass es Menschen gibt, die mit Herz arbeiten. Mit Verstand. Mit Verantwortung.
Selten sind sie laut in dieser Welt, sondern oftmals eher leise. Mit und ohne große Reichweite.
Gemeinsam haben sie eines: Sie haben verstanden, was Pferde brauchen. Sie
kennen die körperlichen Zusammenhänge. Sie wissen, was Training im Innersten
bedeutet. Sie beschäftigen sich mit dem Nervensystem, mit Haltung, mit
Belastung und Entlastung. Sie wissen, dass ein Lebewesen nicht zum
Funktionieren gezwungen werden darf. Das alles ist so viel mehr wert als jede auf Kosten des
Pferdes erzwungene, spektakuläre Bewegung.

Ich wollte dazugehören
Ich möchte ehrlich sein. Früher wollte ich dazugehören. Und wenn ihr jetzt denkt,
"Annica, wozu denn eigentlich?", dann muss ich selbst ein wenig schmunzeln. Denn
früher gab es für mich nur den Sport. Der Sport war das Höchste, was man mit
Pferden tun konnte. Zu diesen Menschen wollte ich unbedingt gehören, denn sie waren schon damals im Schulstall als ich für meine Reitstunden noch fegen musste, die Coolen. Zu ihrer Clique wollte man gehören. Und irgendwann selber ein Sportpferd haben und auf Turnieren starten. Von Anfang an habe ich das gelernt und gesehen. Später nie hinterfragt. Ich hatte Scheuklappen auf. Und falls es jemand vergessen hat und ich es nochmal sagen muss. Ich finde Sport mit Pferden nach wie vor keine grundsätzlich schlechte Idee. Allerdings kommt es auf die Ausführung an und es gibt einfach so viel mehr.
Aber zurück zu mir.
Ich sah damals Menschen, die mit ihren Pferden regelmäßig spazieren gingen, und hielt sie für seltsam. Menschen, die viel Bodenarbeit machten. In Wanderschuhen. Mit Leckerli-
Beutel am Gürtel. In meinem Kopf waren sie irgendwie weniger ernstzunehmen.
Ich nahm ihre Welt nicht wahr. Ich kannte das nicht und verstand es noch weniger.
Meine Haltung war absolut arrogant. Das kann ich heute ganz klar sagen. Aber sie fiel mir nicht auf, weil die Kreise, in denen ich unterwegs war, alle so dachten.
Dabei komme ich nicht mal aus dieser Welt. Mir ist die Reiterei nicht in die Wiege gehlegt worden. Mir hat nie irgendjemand etwas geschenkt. Ich habe mir meinen Weg in die Horse Industry hart erarbeitet und hatte irgendwann all das was ich als kleines Mädchen bewundert habe. Pferde, teures Equipment, Sport, Schleifen. Und obwohl ich dafür kämpfen musste, habe ich für eine Zeit lang die Demut verloren,
die es gebraucht hätte, um zu erkennen, wie wertvoll all die anderen Pferdewelten
sind, die es neben dem Sport gibt. Und vor allem um zu erkennen, wie mangelhaft die Welt des Sports und viele ihrer Reiter für die Pferde sind.
Ich hielt mich für etwas Besseres. Nicht laut und bewusst. Aber doch irgendwie unterbewusst. Da war das Gefühl es geschafft zu haben.
Denn mein Status im Sport schmeichelte meinem Ego. Und das nicht aufgrund
spektakulärer sportlicher Leistungen. Ich war solide erfolgreich. E, A, L, Dressur, Springen, später auch mal in der Vielseitigkeit. Nichts, womit man sich wahnsinnig brüsten könnte. Aber ich war interessant.
Wegen meines Jobs, meiner Marken, meiner Kontakte, meiner Reichweite. Und
wer interessant ist, findet leichter Anschluss.
Ich genoss es. Auf großen Turnieren kannte ich jeden Zweiten. Man grüßte mich.
Man scherzte. Ich war Teil einer glänzenden Welt. Und ich wollte dazugehören.
Mehr als ich mir damals eingestand.

Die Entscheidung, die alles veränderte
Mit meiner Entscheidung, den CHIO Aachen nicht weiter moderieren zu wollen,
wurde ich offiziell zur Nestbeschmutzerin in dieser Welt. Eigentlich begann dieser Prozess aber schon viel früher. Denn Jahre vorher kamen Zweifel. Zweifel daran, was ich sah. Wie Pferde behandelt wurden. Was in großen Sportställen passierte. Was auf internationalen
Turnieren Normalität war. Und ob ich dahinterstehen konnte und wollte. Ich fing an die Pferde wirklich zu sehen und merkte das sich abnutzende Glück dieser Welt, die oft nur auf Kosten der Tiere funktionierte.
Fängt man damit an und kommuniziert es, hört man immer die gleichen Sätze. Die Freizeitreiter seien auch nicht besser.
Der dicke Tinker auf der Wiese sei genauso ein Problem. Und natürlich müssen wir
darüber reden. Über Übergewicht, schlechte Haltung, fehlende Bewegung. Aber
darum geht es hier gerade nicht.
Es geht um die Illusion, dass Sportpferde automatisch ein gutes Leben haben, weil
sie Menschen gehören, die oftmals viel Geld haben. Weil Menschen ihnen menschliche Luxusbedürfnisse erfüllen und sie viel zu oft in goldene Käfige packen. Optisch einwandfrei. Aus Sicht des Pferdes mehr als fragwürdig. Boxenhaltung ohne Kontakt. Isolation. Verschnallungen, die schmerzen. Ausbildungswege, die gegen das Tier arbeiten.
Vieles, was glänzt, ist für Pferde nicht gut. Oft ist es sogar das Gegenteil.
Als ich mich aus dieser Welt löste, öffnete sich eine andere. Ich begann
hinzuschauen. Zu lernen. Zu verstehen. Ich traf Menschen, die ich früher nie als
Pferdemenschen gesehen hätte. Menschen, die ich heute bewundere. Die ich ernst
nehme. Die ich als Vorbilder sehe.
Es ist übrigens ein Klischee, dass alle, die nicht im Sport unterwegs sind,
aussehen wie aus einem Outdoor-Katalog von 2005. Ich habe in dieser Welt
genauso gut angezogene und schicke Menschen kennengelernt. Und dass ich das
Bedürfnis habe, das zu erwähnen, zeigt, wie schräg manches Denken im Sport ist. Es ist einfach so, dass viele ihr Ego weder über Erfolge noch über den neusten Look ständig pushen müssen. Angenehme Menschen sage ich euch und wunderbar entspannend auch ernst genommen zu werden, wenn man nicht die neuste Kollektion trägt.
Der Sport vermittelt gern, dass man nur dazugehört, wenn man glänzt. Wenn man
perfekt aussieht. Wenn man „eine von ihnen“ ist. Und sobald man da rausfällt, wird
man schnell in die Ecke der schmuddeligen Alternativen gestellt.
Nun ja. Dann bin ich eben eine davon. Mal mit Wanderschuhen. Mal mit frisch
geputzten Stiefeln. Aber immer auf der Seite der Pferde.
In welcher Gang willst Du sein?
Vor kurzem war hier in Ponyhausen etwas Besonderes los. Drei Frauen waren bei
mir. Drei Pferdefrauen, die ich bewundere. Für ihren Mut. Ihr Wissen. Ihre Haltung.Birte Ewaldsen.
Dr. Veronika Klein.
Anna Jantscher.
Diese drei Frauen stehen für eine Richtung, die der Pferdewelt guttut. Für
Achtsamkeit. Für Sanftheit. Für Wissen. Für eine klare Linie. Für das, was ich früher
nicht sehen wollte. Und heute umso mehr schätze.
Ich durfte wieder so viel lernen. So viel Neues erfahren. Mein Wissenshunger ist
riesig. Und die kleine Annica, die früher unbedingt zu den Sportgrößen gehören
wollte, hat kurz einen Freudentanz hingelegt, als sie sah, wer da in Ponyhausen
stand. Denn heute möchte ich zu diesen Menschen gehören. Zu denen, die
wirklich verstehen. Die hinterfragen. Die mit Pferden arbeiten, ohne sie zu brechen.
Sie geben mir Hoffnung für eine Pferdewelt, in der Ehrlichkeit mehr zählt als
Prestige. In der Gefühl mehr zählt als Funktionieren. In der Sanftheit mehr zählt als
Glitzer.
Menschen wollen dazugehören. Das ist normal. Aber man muss sich irgendwann
fragen, wohin man gehören möchte. Welche Werte man lebt. Welche Welt man
mitträgt. Und welche nicht mehr.
Ich weiß, wohin ich nicht mehr gehöre. Zu einer Welt, in der Ego über Empathie
steht. In der schnelle Ergebnisse über das Wohl des Pferdes gestellt werden. In der
Champagner, Events und Prestige über moralische Verantwortung hinweg
täuschen sollen.
Ich möchte zu denen gehören, die hinschauen. Die reflektieren. Die fragen, was
richtig ist. Die Verantwortung übernehmen. Die dem Pferd wirklich gerecht werden.
Auch wenn es weh tut, alte Zöpfe abzuschneiden.
Und das Schöne ist: Diese Reise hat gerade erst begonnen. Und sie fühlt sich frei
an. Echt. Unverfälscht. Und endlich richtig. Weiterführende Links:
Anna Jantscher: https://www.hof-jantscher.at/
Veronika Klein: https://kernkompetenz-pferd.de/
Birte Ewaldsen: https://birte-ewaldsen.de/
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