Aus großer Macht erwächst große Verantwortung
Wir alle machen Fehler
Haben sie gemacht und werden sie machen. Ich denke, da sind wir und einig.
Ich habe schon viele falsche Entscheidungen getroffen und insbesondere Wölbchen damals auch mal in den Hintern getreten oder zu feste am Zügel gezogen.
Das habe ich gemacht, weil ich meinen Willen bekommen wollte. Weil ich einen Parcours beenden wollte. Weil ich diese Lektion jetzt reiten wollte. Eben weil ICH etwas wollte.
Nicht weil ich ihr in dem Moment körperlich helfen wollte, sie gesünder dastehen sollte oder weil es eine lebensgefährliche Situation war, aus der ich uns retten musste. Es ging um die Befriedigung meiner Bedürfnisse. Das Durchsetzen meines Willens. Hört sich krass an. Ist aber die Wahrheit und ich heute schäme ich mich dafür. Auch wenn ich es damals weder so gemeint habe, noch ansatzweise komplett durchblickt habe. Man könnte mir zugutehalten, dass ich nicht mit Absicht gehandelt habe. Und sicherlich sind dies zumindest mildernde Umstände.
Was ich damit aber auf keinen Fall tun werde, ist es, das Ganze so zu verpacken, dass ich es eigentlich für sie getan habe, um ihr zu helfen dies oder jenes zu schaffen. Es für sie gut war. Denn Wölbchen war es nie wichtig, auf einem Turnier zu starten. Mich so zu verhalten, wäre Gaslighting.
Den moralischen Unterschied, ob das Handeln, der Umgang mit dem Pferd gut oder schlecht ist, macht in meinen Augen die Intention. Insbesondere in schwierigen und zu hinterfragenden Momenten.
Tut es dem Pferd etwas Gutes, ist es mir persönlichem ziemlich egal, welchem Zweck es dient. Denn es schadet niemandem. Fügt es dem Pferd hingegen Schmerzen zu, ist die Intention genau zu beleuchten. Denn hier trennt sie die Spreu vom Weizen.
Tue ich mit einem anderen Lebewesen etwas, um ihm zu helfen. Und damit meine ich nicht den oft gedachten Weg ihm zu „helfen“ zu funktionieren damit ich an mein Ziel komme.
Sondern stelle ich ihm eine Frage, übe ich etwas, entscheide ich etwas, um wirklich für dieses Lebewesen in diesem Moment einen Mehrwert zu generieren, der unabhängig von meinen eigenen Bedürfnissen und der Befriedigung meines Egos ist. Dann darf es auch kurz schwer sein.
Schmerz kann in meinen Augen kurzfristig akzeptiert werden, wenn er langfristig einen Nutzen hat. ZB das Lösen einer Blockade. Fügt kurzfristig eventuell Schmerz zu, hat einen langfristigen Nutzen für das Wohlergehen des Pferdes. Passiert hoffentlich aus der Intention dem Pferd helfen zu wollen, hat aber vielleicht auch den Nebeneffekt, dass das Pferd besser läuft und wir besser auf dem Turnier abschneiden.
Schadet das, was ich mit dem Pferd mache, diesem aber körperlich oder emotional langfristig oder ist ein zugeführter Schmerz der Intention unterworfen, meine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, ist dies in meinen Augen nicht akzeptabel. Dass uns auch solche Fehler passieren, kann man nicht verhindern. Wir sollten sie aber nicht gaslighten indem wir sie als ‚für das Pferd‘ schönreden.
Wer braucht wen?
Wir alle reiten für unsere Freude. Die Pferde haben in unseren Plänen wenig Mitspracherecht. Wir kaufen sie und beschließen, was wir tun wollen. Im Idealfall schaden wir unserem Partner damit nicht. Im Idealfall macht zB. Dressur das Pferd schöner und die Lektion dient dem Pferd und der Funktionalität seines Körpers.
Leider spiegelt dies selten die Realität und es kostet sehr viel Selbstreflexion zu verstehen, dass vieles, was wir angeblich fürs Pferd machen, oft nur für uns ist.
Spannend wird es, wenn man sich darüber hinaus weiterentwickelt und wirklich FÜR das Pferd (seine Gesundheit, sein Wohlergehen, seine Zufriedenheit) entscheidet und dazu stehen kann, auch wenn Geld, Ruhm, Erfolg oder Schleife laut rufen.
Und das heißt nicht, dass wir heilig sein sollen. Und jegliche Entscheidung ausschließlich dem Pferd dienen muss. Sie darf ihm aber in meinen Augen definitiv nicht schaden. Sie sollte aus Liebe getroffen werden.
Was sofort ausschließt, dass Gewalt und aktiv zugeführter Schmerz akzeptabel sind (wenn es sich nicht um eine absolute Notsituation handelt). Insbesondere, wenn wir damit eben die oben aufgezählten Ego Bedürfnisse befriedigen und nicht dem Pferd helfen wollen.
Kein Pferd braucht grundsätzlich einen Reiter. Kein Pferd hat als inneres Bedürfnis oder den Wunsch auf Events, Messen oder Turniere zu fahren. Kein Pferd hat von Geburt an den Traum frisiert und schön angezogen zu werden oder stundenlang mit uns spazieren zu gehen (beliebig ergänzbar mit all dem, was wir Menschen mit den Pferden tun).
Pferde möchten gerne den ganzen Tag durch die Gegend tingeln und fressen. Sich mit Artgenossen umgeben und sich sicher fühlen. Ihre körperliche Funktionalität ist dabei auch nicht aufs Reiten ausgelegt.
Es ist wundervoll, dass sie uns an ihrer Seite dulden. Sich uns anschließen und oft genug an unserer Seite stehen, um mit ihnen unsere Träume zu erfüllen. Sei es am Strand reiten oder einen Parcours zu überwinden. Aber nichts davon braucht das Pferd. Das brauchen alleine wir Menschen. Und wir dürfen dankbar sein, dass sie uns dies ermöglichen. Und dürfen uns in der Pflicht fühlen, sie körperlich so aufzustellen, dass sie uns tragen können (denn nein, nur weil sie einen Rücken haben, können sie dies nicht automatisch gesund erhaltend!)
Been there, done that
Genauso dürfen wir aber auch hinschauen, unter welchen Umständen wir was von unseren Vierbeinern fordern dürfen.
Ja, sie können diese tollen Dinge für und mit uns tun. Aber um so wichtiger ist es genau anzuschauen wann sie uns diese Geschenke machen können und wann sie schlicht nicht dazu in der Lage sind. Wann wir ihre Grenzen überschreiten, um unseren Willen zu bekommen und unsere menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen.
Wir müssen erkennen, dass Pferde aus den unterschiedlichsten Gründen manchmal nicht können. Auch wenn sie dies vorher schon mal konnten. Auch wenn ihre Veranlagung dafür gemacht zu sein scheint. Auch wenn wir es uns aber genau jetzt genu das besonders wünschen.
Sie können manchmal nicht. Aufgrund von körperlichen Dingen, aufgrund von emotionalen Dingen, aufgrund des Cortisolspiegels oder, oder, oder. Das Pferd nicht wollen, weil sie eben nicht wollen, ist eine Geschichte die wir Menschen erzählen, wenn wir nicht genau hinschauen möchten, keine Geduld haben und eine Legitimation brauchen dem "bockigen und unwilligen Tier" unseren Willen aufzuzwingen, wenn der "sture Esel" nicht funktioniert wie wir es jetzt gerne hätten. Wieso drängt sich mir bei dieser Beschreibung ein kleines Kind auf, dass seinen Willen nicht bekommt und mit den Füßen aufstampft und Spielzeug wirft (ohne das Fass über den falschen Umgang mit diesem Phänomen aufmachen zu wollen).
Da stampft man dann als Erwachsener nicht mit den Füßen, sondern holzt halt Equipment xy aus dem Schrank, wenn man das Tier sonst nicht kooperiert.
Die Option, dass es nicht kann, kommt da oft gar nicht auf den Tisch. Immerhin hat es x tausend Euro gekostet, wir haben es dafür gekauft und schließlich ist dies und das unser Traum. Das Spielzeug soll also machen, was wir wollen. Provokant formuliert? Ja! Für viele, viele Tiere aber tägliche Realität mit ihren Besitzern. Und ich war auch mal eine davon. Ohne es je so zu sehen oder es böse zu meinen. Ich habe dem Pferd meinen Willen aufgezwängt (und gehörte schon früher immer eher zur weichen Sorte) und habe allen erzählt wie sehr ich mein Pferd liebe. Ehrlich, hingeschaut habe ich nicht. Konnte ich nicht. Ich kenne das. Been there. Done that.
Es gibt immer Gründe. Und es ist unsere Pflicht sie zu erkennen, und bessere oder ganz andere oder viel, viel kleinere Fragen zu stellen, damit die Pferde Ja sagen können. Denn Pferde möchten grundsätzlich ja sagen. Davon bin ich zutiefst überzeugt.
In den Momenten, wo es nicht rund läuft, wo die Pferde uns nicht geben, was wir möchten, zeigt sich in meinen Augen, was für ein Pferdemenschen wir sind. Es zeigt sich nicht in den schönen Momenten voller Harmonie. Es zeigt sich nicht, wenn ich mich abends neben Wölbchen lege und wir Kuschelvideos filmen. Es zeigt sich nicht, wenn ich mit Cobie ein Springen gewonnen habe oder wir in Slomo als Team vereint übers Stoppelfeld fliegen. Es zeigt sich, wenn Cobie an manchen Tagen nicht antraben kann. Es zeigt sich, wenn die Furcht vor irgendetwas größer ist als das Vertrauen in mich.
Was für Pferdemenschen wir sind, zeigt sich, wenn die Liebe zum Tier von uns erwartet, unser Ego und unsere Wünsche für das Wohlergehen hinten anzustellen. Und uns schützend vor das Pferd zu stellen, egal welche Erwartungen unser Umfeld oder wir selber an uns haben.
Wer bin ich für mein Pferd wenn es schwierig wird?
Zwinge ich es zu dem w, wasch will. Auch wenn es für meinen Vierbeiner Schmerz, Angst, Sorge, Trauma bedeutet. Oder entscheide ich mich andere Fragen zu stellen, damit ihm ein Ja möglich ist. Stehe ich ihm als verlässliche Zweibeiner zur Seite? Oder dominiere ich um nicht nachgeben oder zu weich zu sein? Fühle ich mich mit einem erzwungenen Ja zu einer zu schweren Aufgabe besser als mit einem ehrlichen Nein?
Das wirklich wunderschöne daran ist, wir können jede Sekunde neu entscheiden, wer wir für unser Pferd sein wollen. Wir können alles falsch gemacht haben und uns entscheiden es ab jetzt anders zu machen. Das macht die Vergangenheit nicht nichtig, aber von jetzt an, wird sich in der Beziehung zu unserem geliebten Pferd alles ändern. Auch da … been there. Done that. Und es fühlt sich unglaublich an.
Wir haben einen so wundervollen Sport. Einen so besonderen Sport. Ein Sport, der uns so viel Verantwortung überträgt, schließt er doch das Wohlergehen eines anderen Lebewesens mit ein.
Aber, und das vergessen wir Menschen, in unserer Arroganz, die Krone der Schöpfung zu sein, leicht, es ist nicht unser angeborenes Recht Pferde zu halten, zu reiten und zu nutzen. Wir gehen gerne davon aus, dass wir als Mensch alles dürfen. Und ich bin ein großer Freund von „Ich darf.“ Bezieht es allerdings ein anderes Lebewesen ein, für das wir zudem die volle Verantwortung tragen, sollte mit dem uns so selbstverständlichen „Wir dürfen das“ vorsichtiger umgegangen werden.
Pferde an unserer Seite sind ein Geschenk. Dass wir mehr als sorgfältig, ehrlich und aufrichtig pflegen sollten. Gerade und insbesondere, wenn wir damit unser Geld verdienen.
Dieser Sport hat nur dann eine Zukunft, wenn wir PRO PFERD endlich nicht nur als Floskel nutzen, sondern es auch leben. Wenn es wirklich der Kern unserer Entscheidungen wird, sobald wir ans Pferd herantreten.
Wenn es Kernwert unseres Handels wird.
Ist das immer leicht? Nein! Tut es manchmal weh? Sicher. Sind wir aufgrund der Abhängigkeit der Pferde von uns und unseren Entscheidungen dazu verpflichtet?
Definitiv.
Zumindest, immer und immer wieder daran zu arbeiten, es besser zu machen. Und uns nicht zu scheuen, unsere Fehlentscheidungen (die immer wieder passieren werden) auch als solche zu benennen, ohne sie schönzureden, ohne sie Social Media tauglich oder unkritisch für das nächste Gespräch im Stübchen aufzubereiten
Jede Entscheidung am Pferd sollte in meinen Augen aus Liebe getroffen werden. So wie es der Ausdruck Pro Pferd auch meint. Pro Pferd. Für das Pferd.
Und damit wird die Beurteilung vieler Situationen, die angeblich so vielschichtig sind, ziemlich leicht.
Ist das was da passiert für das Pferd oder für den Reiter? Profitiert das Pferd oder profitiert der Reiter?
Beantwortet man diese Frage wirklich ehrlich, hat man nicht nur einen guten moralischen Kompass zur Hand, sondern zu den allermeisten Situationen mit dem Pferd eine sehr schnelle und plötzlich unglaublich einfache Antwort.