Über Angst redet man nicht
Zeit, das Tabu zu brechen: Angst im Sattel ist real
Über Angst redet man nicht. Und wenn man sie hat, sollte man das auf keinen Fall thematisieren – denn Angst im Sattel, Angst am eigenen Pferd ist nach wie vor ein absolutes Tabuthema. Angst hat man einfach nicht. Und falls doch, drückt man sie so gut es geht weg, ignoriert sie oder überspielt das Ganze. Man versucht, Situationen zu vermeiden, bis die eigene Komfortzone immer kleiner wird.
Woher ich das weiß? Weil ich Angst hatte. Und zwar eine ganze Menge. Angst im Sattel, Angst beim Ausreiten, Angst beim Springen. Wenn man sich ein bisschen umhört und mit anderen redet, merkt man schnell: Das Thema Angst im Sattel ist weit verbreitet. Ja, es ist ein Tabu, aber bohrt man ein bisschen tiefer oder spricht mit vertrauten Menschen, fällt auf, wie oft dieses Thema irgendwie anwesend ist.
Schiss vor der nächsten Springstunde, Unsicherheit beim Ausreiten, Sorge, dass das Pferd wieder durchgehen könnte. Angst vorm Runterfallen, Angst davor, sich zu verletzen. Angst im Sattel ist real – und ich habe keine Lust mehr, sie totzuschweigen. Deshalb brechen wir dieses Tabu heute. Ich möchte euch erzählen, wie ich meine Angst in den Griff bekommen habe.

Vom Feind zum Kompass: Wie ich gelernt habe, meiner Angst zuzuhören
Kurzer Spoiler vorab: Ich habe wirklich alles ausprobiert, um meine Angst loszuwerden. Coachings, Übungen, Tagebucharbeit, Bücher, Gespräche mit Trainern und einem Psychologen. Mal wurde es besser, mal schlechter, aber die Angst blieb. Das Klügste, was ich über Angst gelernt habe, ist, dass sie nicht unser Feind ist. Angst will uns schützen. Sie möchte uns etwas sagen. Erst als ich aufgehört habe, sie wegzudrücken und angefangen habe, auf mein Bauchgefühl zu hören, wurde sie besser.
Natürlich kann Angst uns auch vereinnahmen, und ich rede hier nicht von einer echten Angststörung – in solchen Fällen braucht es natürlich professionelle Unterstützung. Ich spreche von der unterschwelligen Angst, die man vielleicht benennen kann, aber nicht genau versteht. Der Verstand sagt, alles ist in Ordnung, und trotzdem fühlt sich etwas unsicher an. Genau da kommt unser Bauchgefühl ins Spiel. Unsere Angst passt auf uns auf.
Wisst ihr, wann meine Angst aufgehört hat? Als ich angefangen habe, komplett auf mein Bauchgefühl zu hören – und alle Faktoren zu verändern, bei denen sich mein Bauch nicht wohl gefühlt hat. Als ich mein eigenes Tempo zugelassen habe und darauf geachtet habe, was ich brauche, um mich sicher zu fühlen. Heute weiß ich, dass meine Angst mich schützen wollte. Und mein System hatte recht – es gab Gründe, Angst zu haben.
Ich würde nicht behaupten, dass ich heute völlig angstfrei bin. Aber das, was ich heute noch an kleinen Unsicherheiten spüre, ist nicht mal ein Bruchteil dessen, was ich früher empfunden habe. Es gab Momente vor dem Reiten, vor Turnieren oder Trainings, in denen ich in den Spiegel geschaut und mich gefragt habe, ob man wohl so an seinem eigenen Todestag aussieht. Krass, oder? Und dabei bin ich sonst gar kein ängstlicher Mensch. Aber in diesen Situationen war die Angst so laut, dass sie zusammen mit meiner Fantasie die schlimmsten Szenarien in meinem Kopf abgespielt hat. Ich hatte Angst – und ich habe mich dafür unfassbar geschämt.

Mut oder Selbstbetrug? Was passiert, wenn wir unser Bauchgefühl ignorieren
Wir sind uns sicher einig, dass man in diesem Zustand auf keinen Fall aufs Pferd steigen sollte – geschweige denn einen Parcours reiten. Aber ich habe mich oft drängen lassen. Ich bin trotz Angst geritten, gestartet, habe funktioniert, weil es eben „normal“ war. Was für ein Irrsinn das war, so gegen mein Gefühl zu handeln, weiß ich erst heute.
Ist es mutig, über die eigene Angst hinwegzugehen? Sie zu ignorieren oder wegzudrücken? Manche nennen das mutig, andere „aus der Komfortzone gehen“. Und ihr wisst, dass ich grundsätzlich ein Fan davon bin, die eigene Komfortzone zu dehnen – aber das hier ist etwas anderes. Es ist nicht mutig oder clever, die eigene Angst ständig zu übergehen, denn sie hat ja einen Grund. Natürlich darf man sich bestimmte Dinge bewusst anschauen: Wenn man schlechte Erfahrungen gemacht hat, müssen die erst einmal überschrieben werden. Man kann sich Ängsten nach und nach annähern. Aber meine Erfahrung zeigt: Bei echten, wiederkehrenden und starken Ängsten – besonders denen, die an Panik grenzen – hilft es am meisten, die Gründe für das schlechte Bauchgefühl anzuschauen und dort aufzuräumen. Danach hat sich meine Angst fast vollständig aufgelöst.
Manche sagen jetzt vielleicht: „Klar, heute machst du ja auch nichts Gefährliches mehr.“ Und stimmt, ich fliege nicht mehr über Geländestrecken oder Parcours, bin nicht mehr ständig auf Turnieren. Aber ich mache andere Dinge, vor denen man sich auch fürchten könnte – und vor denen ich mich früher gefürchtet habe. Ich reite aus, galoppiere durch die Heide, fahre mit meinem Pferd allein auf ein fremdes Gelände und reite dort. Es geht nicht darum, zu vergleichen, wovor man mehr oder weniger Angst haben „müsste“. Angst ist individuell. Und sie ist immer real – egal, wie seltsam oder unnötig sie von außen wirken mag. Angst möchte uns etwas mitteilen. Unser System ist oft viel feinfühliger und schneller als unser Verstand es erfassen kann. Denkt an ein Pferd, das plötzlich in den Fluchtmodus geht, noch bevor wir verstehen, was passiert. Angst ist intuitiv – und verdammt schnell.
Die Botschaft, die ich mit euch teilen will, ist diese: Wenn es irgendwo einen „Fehler im System“ gibt, spürt der Körper das. Auch wenn wir uns selbst etwas vormachen, weiß unser Unterbewusstsein, dass da ein Thema ist. Und dann versucht es, uns zu schützen. Wir können uns einreden, dass alles gut ist – aber wenn im Unterbewusstsein Zweifel schlummern, wird Angst auftauchen. Vielleicht weiß unser System, dass das Pferd körperliche Baustellen hat, dass es in bestimmten Momenten überfordert ist, dass wir selbst nicht ganz sicher sind oder Situationen nicht gut vorbereitet haben. Dann erzeugt es Angst – um uns zu warnen.
Hinsehen statt Verdrängen: Mein neuer Umgang mit Angst
Wenn man diese Baustellen nach und nach angeht, körperliche Themen beim Pferd löst, Situationen anders vorbereitet, an sich selbst arbeitet – dann merkt das Unterbewusstsein, dass es sicherer wird. Und die Angst lässt nach.
Ich weiß, das ist ein eher unkonventioneller Ansatz. Meistens hört man: mentales Training, Wiederholung, Atmung – und für manche funktioniert das auch. Aber all diese Methoden haben eines gemeinsam: Sie wollen die Angst wegmachen.
Meine Idee ist eine andere: Wenn Angst auftaucht, schaue ich hin. Wovor habe ich Angst? Und dann sehe ich mir genau dieses Thema an. Bin ich mit mir im Reinen? Hat mein Unterbewusstsein vielleicht einen Punkt? Und meistens hat es recht. Wenn ich dann beginne, an diesen Dingen zu arbeiten, löst sich die Angst ganz von selbst – Schritt für Schritt.
Mein Ziel ist nicht, keine Angst zu haben. Mein Ziel ist, genau dort hinzuschauen, wo sie auftaucht – weil ich weiß, dass dort Wachstum wartet. Es geht nicht darum, Angst loszuwerden, sondern sie zu verstehen, zu integrieren und zu erkennen, was mein System mir sagen möchte.
Wenn man Angst als Anzeiger begreift – und nicht als Feind, den man bekämpfen muss – verliert sie ihren Schrecken. Und vielleicht auch ihr Tabu.
Schämt euch nicht, wenn ihr Angst habt. Drückt sie nicht weg. Ignoriert sie nicht. Eure Angst lädt euch ein, genauer hinzusehen. Manchmal ist sie ein leiser Hinweis, manchmal eine große, blinkende Neontafel, die euch zeigt, wo ihr wachsen dürft.
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